Jun 24, 2025

AK Nr. 36 - Das Markträtsel

Mit dem Abschluss des 1. Quartals 2024 endet ein starkes Börsenquartal. So gewannen der MSCI World Total Return +8.9% (in USD), der DAX +10.4% (in EUR) und der SMI +5.3% (in CHF). Aber wie kann das sein?

Mit dem Abschluss des 1. Quartals 2024 endet ein starkes Börsenquartal. So gewannen der MSCI World Total Return +8.9% (in USD), der DAX +10.4% (in EUR) und der SMI +5.3% (in CHF). Aber wie kann das sein? Es herrscht Krieg in Nahost und in der Ukraine. China scheint bereit, jeden Moment Taiwan anzugreifen. Die USA stecken in einem Kulturkampf fest und Europa wurstelt wie eh und je vor sich her. Währungshüter der FED, EZB und SNB senden Signale der Entwarnung in Bezug auf Inflationsraten, doch im Alltag der Menschen wird gefühlt alles teurer und Fachkräfte sind kaum zu finden. Die Streiks in Deutschland schrecken auf und die hohen Tarifabschlüsse schüren Ängste vor einer Lohn-Preis-Spirale und einer Minderung der Wettbewerbsfähigkeit.

Also nochmals, wie kann an den Finanzmärkten Hochstimmung herrschen? Täuscht etwa der Eindruck, dass die Welt in Unruhe ist, gar aus den Fugen gerät? Oder sollte man als vorsichtiger Investor nun Gewinne mitnehmen?

Diese Fragen beschäftigen viele unserer Kunden und Gesprächspartner. Deshalb haben wir uns auf Spurensuche gemacht und einen Versuch einer Antwort im aktuellen Anlagekommentar formuliert.

Spurensuche

Beginnen möchten wir unsere Überlegungen mit der Frage, wie überhaupt der Eindruck entsteht, dass die Welt aus den Fugen gerät. Hier landen wir direkt bei der Rolle der Medien, der Flut an Nachrichten, und wie diese aufgenommen werden.

Die Rolle der Medien

In der traditionellen Sicht sind Medien Übermittler von Informationen zwischen Quelle und Informationsempfänger. Das bestimmende Qualitätsmerkmal der Berichterstattung ist die Genauigkeit der Informationen, um welche verschiedene Medien auf dem Markt konkurrieren. Jedoch wird dem Unterhaltungswert der Informationsvermittlung ein immer höherer Stellenwert beigemessen.

So kann durchaus argumentiert werden, dass die Medien vielfach ihren Schwerpunkt der Berichterstattung auf Unterhaltung legen. Dazu kommt, dass durch Schwerpunktsetzung und selektive Auswahl von Informationen Medien als Agenda Setter agieren. Sie bestimmen durch ihre Berichterstattung zu einem erheblichen Teil, welche Themen von der Öffentlichkeit überhaupt wahrgenommen werden.[1] Aller Wahrscheinlichkeit nach ist der Kampf um Aufmerksamkeit des Publikums heute noch heftiger als früher und führt dazu, dass sensationshaltige (meist negative) Nachrichten hervorgehoben und Themen kontrovers dargestellt werden.

In Bezug auf Medien und Kapitalmärkte wird das Bild noch diffuser. Aus der schier unüberblickbaren Vielzahl von Wirtschaftszahlen und -zusammenhängen müssen möglichst einfach Nachrichten und Schlussfolgerungen entwickelt werden. Täglich muss kommentiert werden – auch wenn es nicht immer etwas zu sagen gibt. Der bekannte US-Ökonom und Wirtschaftsnobelpreisträger Robert J. Shiller hat in seinem Buch «Irrational Exuberance» aus dem Jahr 2000 den Zusammenhang zwischen Medien und Kapitalmärkten wie folgt kommentiert:

«In an attempt to attract audiences, the news media try to present debate about issues on the public mind. This may mean creating a debate on topics that experts would not otherwise consider deserving of such discussion. The resulting media event may convey the impression that there are experts on all sides of the issue, thereby suggesting a lack of expert agreement on the very issues that people are most confused about. (…) There is no shortage of media accounts that try to answer our questions about the market today, but there is a shortage within these accounts of relevant facts or considered interpretations of them. Many news stories in fact seem to have been written under a deadline to produce something—anything—to go along with the numbers from the market.»[2]

Gehen wir in unserer Spurensuche einen Schritt weiter und blicken auf die harten Fakten.

Wirtschaftsdaten

Eine wichtige Tatsache ist, dass die Welt wächst, wohlhabender wird und Unternehmen durch den technischen Fortschritt effizienter und somit profitabler werden. Wir sind darauf in unserem Anlagekommentar AK Nr. 33 – Das Rauschen der Bäume vom 27. Juni 2023 eingegangen. So hat sich das durchschnittliche pro Kopf Einkommen seit 1980 verfünffacht. Der Internationale Währungsfonds erwartet in seiner Prognose eine Fortsetzung der positiven Entwicklung bei durchschnittlich 4% pro Jahr.

Steigender Wohlstand
Entwicklung Welt-BIP pro Kopf, in USD, zu aktuellen Preisen

Quelle: Prio Partners, IWF

Da die Zahlen für das Welt-Bruttoinlandsprodukt zeitlich versetzt publiziert werden, nutzen wir nachfolgend Zahlen bis zum Jahr 2022.

Im Jahr 2022 lag das Welt-Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei gut 100 Billionen US-Dollar. Davon entfielen 60% auf die ökonomisch entwickelten Staaten und 40% auf die ökonomisch sich entwickelnden Staaten. Die USA hatten 2022 einen Anteil von 25.6% am Welt-BIP. An zweiter Stelle stand China mit 18.4%. Der Anteil Asiens am Welt-BIP stieg zwischen 1992 und 2022 von 25.1% auf 35.7%. Der Anteil Europas verringerte sich von 35.3% auf 21.4%.[3] Das Gewicht Europas verringerte sich über die letzten 30 Jahre relativ zum Rest der Welt um 40%.

In der enorm dynamischen Entwicklung Asiens und der anhaltenden Stärke der USA sehen wir auch den Grund für Optimismus. Gleichzeitig widerspiegelt der relative Bedeutungsverlust Europas in der Welt auch ein Stück weit die lokal vorherrschende negative Grundeinstellung. Wer die aufstrebenden Länder Asiens einmal vor Ort besucht hat, weiss wie erfolgshungrig und fleissig die oftmals junge Bevölkerung ist (natürlich mit allen Vor- und Nachteilen). Der Vergleich zu den Verhältnissen in Europa ist jedoch frappant und bedarf aus unserer Sicht keiner weiteren Erklärung. Tatsächlich sind Innovation und technischer Fortschritt unsere einzige Chance im globalen Wettbewerb. Hoffen wir, dass diese Chance wahrgenommen wird. In jedem Fall profitieren vor allem global aufgestellte Unternehmen vom weltweiten Wirtschaftswachstum und sind weniger von der aktuellen Situation und Stimmung im Heimatland abhängig. Wer hätte beispielsweise gedacht, dass der derzeit reichste Mensch der Welt, Bernard Arnault, aus Frankreich stammt (einem Land, dem nicht nachgesagt werden kann, dass es tatsächlich wirtschaftsfreundlich sei). Als Vorsitzender der Luxusgütergruppe LVMH profitiert er wie kaum ein anderer von der Weltwirtschaft. 93% des Umsatzes von LVMH werden ausserhalb von Frankreich erzielt. Ähnlich stellt es sich für Nestlé dar. Der Nahrungsmittelkonzern erwirtschaftet 99% ausserhalb der Schweiz. Bei Siemens sind es 84%, die ausserhalb Deutschlands erwirtschaftet werden.

Der globale Blick ermutigt also und ist ein wichtiger Grund für Anleger, in den Aktienmärkten investiert zu sein. Dabei denken wir nicht an die täglichen, monatlichen oder jährlichen Schwankungen, sondern richten unseren Blick auf die langfristig guten Wachstumsaussichten und entsprechenden Renditen.

Bei unserer Spurensuche nähern wir uns nun dem Eingemachten – den Renditen auf den Aktienmärkten.

Marktdaten

Als erstes wollen wir uns den Weltaktienmarkt vornehmen, der sich im 1. Quartal mit +8.9% entwickelt hat. Als Proxi für diese Entwicklung gilt der MSCI World Index. Schauen wir genauer hin, ergibt sich ein durchaus interessantes Bild. Der Index besteht aus 1465 Unternehmen und deckt 23 entwickelte Länder der Welt ab.[4] Die Gewichtung wird anhand der Marktkapitalisierung der enthaltenen Unternehmen und Märkte abgeleitet. Interessant ist, dass die USA rund 71% der Gewichtung ausmachen. Ein Grossteil der Entwicklung der Weltaktienmärkte liegt also wie anhin in den USA. Aber es wird noch interessanter, wenn wir die grössten Einzelwerte betrachten, die 21.47% der Weltallokation ausmachen – dies sind Microsoft 4.57%, Apple 3.88%, NVIDIA 3.44%, Alphabet 2.58%, Amazon 2.58%, Meta 1.66%, Eli Lilly 0.97%, Broadcom 0.91% und JPMorgan Chase 0.89%. So wird klar, dass ein Grossteil der Wertentwicklung vom US-Technologiesektor getrieben ist. Klar scheint, dass der Anteil am Weltaktienmarkt von über 20% auf Dauer kaum zu halten sein wird. Wie und wann die Marktdominanz gebrochen wird, ist offen. Die Entwicklung und Anwendung von Künstlicher Intelligenz mag ein solcher Wendepunkt sein, wobei die grossen Konzerne auch diese Technologie mittlerweile dominieren. Regulierung könnte ein anderer limitierender Faktor sein, wobei sich die Regulierer bisher gegenüber den alles beherrschenden Weltkonzernen alles in allem als zahnlose Tiger gezeigt haben.

Nachfolgend haben wir die Renditen im 1. Quartal für die wichtigsten Länder und globalen Sektoren aufgezeigt. Insbesondere der Blick auf Sektoren geht oftmals verloren, obwohl die Sektorallokation grossen Einfluss auf die Gesamtrenditen hat.

Die Ausbeute im Überblick
in %, Q1 24, in Lokalwährung, MSCI World Universum

Quelle: Prio Partners, Bloomberg

In unserer Spurensuche sind wir bisher über den Wolken geschwebt. Nun wollen wir uns um die eigentlichen Stars unserer Suche kümmern – die Unternehmen, die mit ihrer guten Arbeit Produkte und Dienstleistungen anbieten, die Nutzen stiften.

Unternehmensebene

Nachfolgend haben wir eine Selektion von US-Technologieunternehmen, sowie Unternehmen aus dem SMI und DAX graphisch aufbereitet. Die Idee dahinter ist, die vom Markt vorgenommene Differenzierung in Bezug auf Kurs-Gewinnverhältnis und Rendite aufzuzeigen. Um die Lesbarkeit möglichst zu erhöhen, zeigen wir zunächst die Bedeutung der einzelnen Quadranten auf und ordnen nachfolgend die Unternehmen ein. Die Einordnung der Unternehmen erfolgt jeweils gegenüber dem Durchschnitt der Vergleichsgruppe. Die US-Technologieunternehmen werden also in Relation zu anderen Technologieunternehmen gesetzt. Dasselbe gilt für Unternehmen aus dem DAX oder SMI. So können wir Unternehmen aus unterschiedlichen Ländern und Sektoren auf einer Graphik darstellen.

Struktur zur Einordnung

12-monatiges KGV, Gesamtrendite im Q1, Lokalwährung

Quelle: Prio Partners

Der erste Quadrant (oben links) enthält Unternehmen, die relativ günstig sind und deren Rendite im 1. Quartal unterdurchschnittlich war. Der zweite Quadrant (oben rechts) enthält Unternehmen, die relativ günstig sind und deren Rendite im 1. Quartal überdurchschnittlich war. Der dritte Quadrant (unten links) enthält Unternehmen, die relativ teuer sind und deren Rendite gleichzeitig unterdurchschnittlich war. Der vierte Quadrant (unten rechts) enthält Unternehmen, die relativ teuer sind und sich im 1. Quartal besonders gut entwickelt haben. Auch wenn man keine Pauschalaussage treffen kann, ist es zumindest eine Überlegung wert, die relativ günstig bewerteten Unternehmen im Blick zu haben, die sich im 1. Quartal weniger gut entwickelt haben. Hier könnte Nachholpotential schlummern.

Differenzierte Marktbetrachtung
12-monatiges KGV, Gesamtrendite in Lokalwährung

Quelle: Prio Partners, Bloomberg

Allgemein fällt auf, dass es den Unternehmen im Fokus tatsächlich im Durchschnitt besser ging als im Vorjahr und dass die Aktienmarktentwicklung vom Markt durchaus differenziert betrachtet wurde. Die US-Technologieunternehmen befinden sich auf hohem Niveau und mit rund 20% der Weltmarktkapitalisierung gemessen am MSCI World scheint eine relative Gegenbewegung notwendig. Im SMI enttäuschten wie im Vorjahr die «Grossen Drei» (Nestlé, Roche, Novartis). Für aktive Manager gab es Potential zur Aktienselektion. Nebenwerte erholten sich markant und auch dividendenstarke Titel entwickelten sich gut. Letzteres mag zum Teil mit steigender Risikoaversion aber auch der Aussicht auf Zinssenkungen zusammenhängen. Diese machen Dividenden attraktiver. Für den DAX scheint vor allem der stark gewichtete Industriesektor Wachstumstreiber gewesen zu sein. Insbesondere Siemens sticht hervor. Im Technologiesektor ist SAP hervorzuheben.

Was liegt die nächsten Monate vor uns

Wir befinden uns in den USA im Wahljahr und der Präsidentenzyklus[5] hat fast immer gute Aktienmarktrenditen hervorgebracht. Die Technologieunternehmen scheinen ebenfalls gut positioniert. Wir sehen auch weiterhin keine ernsthafte Konkurrenz. Wenn wir zudem die aktuellen Signale aus Asien aufnehmen, dann scheint die Welt trotz Krisen auf dem Wachstumspfad. Unternehmen werden in diesem Jahr trotz Kostendruck und Mangel an Fachkräften im Durchschnitt ihre Umsätze steigern und gute Gewinne erzielen.

So schliessen wir den Kreis mit der Medienberichterstattung, die in ihrer Gesamtheit aller Wahrscheinlichkeit nach zu negativ berichtet und die Meinung der Marktteilnehmer beeinflusst. Technisch gesprochen ist die Risikowahrnehmung der Marktteilnehmer potenziell zu hoch und würde bei ihrer Auflösung zu weiteren Kursanstiegen führen.

Als vorsichtiger Investor bietet es sich trotz allem kurzfristig an, Gewinne mitzunehmen. Längerfristig scheint eine breite Allokation in den globalen Aktienmärkten oder guten und global aufgestellten Unternehmen das Mass aller Dinge. Dies zeigt auch die Entwicklung des Weltaktienmarkts, der seit den 1980er Jahren im Schnitt um +7.8% pro Jahr angestiegen ist.

Globale und langfristige Perspektive
Preisentwicklung MSCI World Index, seit 1980, in USD

Quelle: Prio Partners, Bloomberg

Wichtig ist – und hier wiederholen wir uns gerne, «dabei» zu bleiben und eine langfristige Perspektive einzunehmen. Es gibt trotz allen kurzfristigen Herausforderungen genügend Gründe für strategischen Optimismus.

Dr. Patrick Cettier

[1] Siehe «Einfluss der Medienberichterstattung auf die Risikowahrnehmung: Eine empirische Untersuchung der impliziten Risikoprämien auf dem deutschen Aktienmarkt» von Dr. Patrick Cettier, insb. Seite 102ff.
[2] Shiller, Robert J. 2000. Irrational Exuberance. Princeton University Press. Princeton, siehe S. 72ff.
[3] https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/globalisierung/52655/welt-bruttoinlandsprodukt/
[4] Für Details verweisen wir gerne auf: https://www.msci.com/documents/10199/178e6643-6ae6-47b9-82be-e1fc565ededb
[5] https://www.fidelity.com/learning-center/trading-investing/election-market-impact

AK Nr. 36 - Das Markträtsel

Herunterladen
Immer up to date

Neues von Prio Partners

Thank you! Your submission has been received!
Oops! Something went wrong while submitting the form.